Am schönsten Ende der Welt
Für eine Handvoll Junkers-Paddler ist das Konzert von Hans-Eckardt Wenzel in Kamp schon immer ein Muss. Dieses Jahr war es anders: 18 Leute waren bei der Kamp-Tour dabei. Heiko Schrenner über eine Paddeltour zum schönsten Ende der Welt.

Worauf halten wir denn nun zu?! Die Schilfspitze da vorn! Ich sehe keine Spitze! Doch die ist etwas heller und der Hintergrund ist etwas dunstig. Da, wo sich die Grüntöne unterscheiden, da müssen wir hin! Es ist Donnerstag, der 19.06., und wir kämpfen uns gerade zu unserem ersten Zwischenziel des Tages – der Lassaner Bucht am Achterwasser. In diesem Jahr sind wir mit 16 Personen so viele Junkersleute wie noch nie, die diese besondere Tour mit dem Wenzel-Kamp-Open-Air als Höhepunkt mitmachen wollen. Für einige ist es die erste Großgewässerbefahrung. Es ist trotz guter Sicht schwierig abzuschätzen, in welche Richtung man sein Boot peilen sollte. An markanten Landmarken fehlt es in diesem Bereich. Das liegt auch daran, dass uns von Anfang an ein ganz ordentlicher Wind auf der Brust steht. Wir versuchen daher, windgeschützt ufernah zu fahren. Dabei versperrt uns das ins Achterwasser drängende Schilf die Sicht in Richtung Lassan.
Unser Tag startete um 8 Uhr dort, wo sich das Stettiner Haff mit dem Peenestrom vermischt. Krönend wie das Babylonische Tor steht genau an jener Stelle die stählerne Hubbrücke von Karnin. Sie ist verbliebener Zeuge jener Zeit, als sich die im Osten wütende Wehrmacht 1945 vor der herannahenden Sowjetarmee zurückzog und alle Brücken hinter sich abbrach. Achtzig Jahre ist das jetzt her. Das ehemalige Fischerdorf Kamp bildet seitdem das wohl schönste Ende der Welt. Und es liegt ca. 20 km von unserem Ziel Lassan entfernt. Je näher wir der Lassaner Bucht kommen, desto mehr erfasst uns der Wind. Das Achterwasser treibt immer höhere Wellen unter unsere Boote, die den Aufschlag auf die bis zu 60 cm hohen Wellen mit einem lauten Klatschen quittieren. Jauchzen hallt über das Wasser. Das macht Spaß. Aber der Wind raubt die Kraft und nimmt beständig weiter zu. So sind wir froh, gegen 13 Uhr und 20 erkämpften Kilometern Lassan zu erreichen. Schnell wird klar, heute noch das schäumende Achterwasser zu überqueren, wäre ein Himmelfahrtskommando. Unser eigentliches Ziel, Peenemünde, zu erreichen, bleibt uns heute verwehrt. So vertreiben wir uns die Zeit im beschaulichen Lassan. Auf dem sehr ordentlich geführten Campingplatz werden wir gut bewirtet, bis die Aperolvorräte der dortigen Gastronomie ein Ende finden. Wir schmieden neue Pläne.
Aufstehen um 3:30 Uhr
Am Freitag, um 3.30 Uhr, klingelt der Wecker. 4 Uhr im Boot war die Verabredung. Die Ruhe des Tagesanbruchs ausnutzend, wollen wir die 15 km des Achterwassers durchkreuzen. Noch immer fordern uns einige Seitenwellen, die sich vom Vortag noch nicht beruhigen konnten. Doch unsere Anstrengungen und unser frühes Aufstehen werden mit einem herrlichen Sonnenaufgang belohnt. Gegen acht erreichen wir Lüttenort, jene Stelle, an der das Achterwasser fast mit der Ostsee verschmilzt. Nur zweihundert Meter sind es bis zum Ostseestrand, an dem die meisten von uns mit geschlossenen Augen die viel zu kurze Nacht aufarbeiten. Einige gehen auch baden, aber der Juni kommt doch etwas kühl daher, sodass die Sommersachen in den Gepäckluken und so manche Badetücher trocken bleiben.
Gegen elf brechen wir auf, gehen zurück zu den Booten, die wir boddenseitig beim immer freundlichen Wassersportverein Lüttenort abgelegt hatten. Es folgt eine entspannte 20 Kilometer lange Tour durch das nun ebenfalls entspannte Achterwasser in südlicher Richtung den Peenestrom hinauf. Als Belohnung hält uns der Tag eine besonders schöne Übernachtungsstelle in der Nähe von Krienke bereit.
Die Zeltstadt ist schnell aufgebaut und während die einen Holz sammeln, kredenzen andere vorzügliche Eierteigwaren an Tomatensoße. Das Lagerfeuer brennt. So lässt es sich leben. Einige bieten noch ein paar hoch- und auch einige niedrigschwellige Kulturbeiträge dar. Im Feuerschein bei herrlichstem Sonnenuntergang löscht der Peenestrom das letzte Licht vom längsten Tag des Jahres. Wir verabreden, auszuschlafen.
Die Vorfreude auf das Konzert lässt uns unsere Boote vorantreiben. Schon bald sehen wir die ca. fünf Kilometer vor Kamp gelegene Zecheriner Brücke, die wir zum Brückenzug erreichen. Ameisenstraßen von Segelbooten wechseln auf die jeweils andere Seite der Brücke. Schon bald ist der Strom vor Kamp voll mit großen Segeln, die den Bootsleuten den Wind fangen.
Bei unserer Ankunft ist aus dem verschlafenen Fischerdorf inzwischen eine wuselige Menschenansammlung geworden. Die große Bühne wird nur noch vom großen Hafenkran überragt. Das Dorf hat sich in jedem Winkel geschmückt. Der kleine Badesteg, an dem wir eben noch unsere Boote heraushieven mussten, ist ob der nun herrschenden Hitze gut besucht. Es ist ein friedlicher, lebendiger Ort.
Nach 108 Liedern ist Schluss
Wenzel beginnt sein Programm schon um 19 Uhr gemeinsam mit Tobias Morgenstern, nachdem er vorher schon gemeinsam mit den Kindern musiziert hat. Erst um 3.30 Uhr und nach 108 Liedern wird das Konzert mit einem kleinen Feuerwerk beendet sein. Diese 108 Lieder, die von bis zu sieben Musikern zelebriert wurden, führten durch die große Politik, die Liebe und den Klamauk, ließen uns das Lachen im Halse stecken, berührten uns, ließen uns wissen, dass wir nicht allein mit unseren Gedanken sind, machten Hoffnung und nicht zuletzt ließen sie uns die Tanzbeine schwingen. Wenzel hat den Song „Diese Nacht ist uns gegeben“ für das Kamp Open-Air geschrieben. Da gibt es nichts mehr hinzuzufügen. Ahoi! Ahoi!