„Es bringt nichts, die ersten Kilometer zu bolzen“
Ob Hiddensee-, Bodensee-, 1000-Seen-Marathon oder demnächst die 5. Auflage der Dessauer Berg- und Talrallye – Rüdiger Schulze-Rusch aus Schwarzheide ist jedes Jahr bei mehreren Langstreckenrennen für Kanuten anzutreffen. Oft fährt er dabei auf einen der vorderen Plätze und lässt andere Kanuten hinter sich. Das tun andere auch. Doch Rüdiger ist Jahrgang 1944, und die meisten seiner Konkurrenten sind 20, 30 Jahre jünger. Junkers-Paddler Thomas Steinberg sprach mit dem Mann, der seine Boote selbst baut und den das Kajakfahren sogar für elf Monate ins Gefängnis brachte.
- Wie schafft man es in deinem Alter, deutlich jüngere Paddler ziemlich alt aussehen zu lassen?
- Rüdiger: Tja, wie macht man das? Man muss sicher ein gewisses Grundtalent mitbringen.
- Also die Technik beherrschen?
- Rüdiger: Ja, den gesamten Bewegungsablauf. Ich komme aus einer Spremberger Paddlerfamilie und bin in den Sport reingewachsen. Erst bin ich Wildwasser gefahren, später zum Rennsport gewechselt und habe den als Leistungssport betrieben.
- Das ist eine Weile her.
- Rüdiger: Das war die Kinderstube. Mit 30 habe ich das Paddeln sein lassen wegen der Familie und des Berufs und erst mit 60 wieder angefangen. Allerdings habe ich anderen Sport getrieben: Tennis, Squash, ein paar Jahre bin ich Marathon gelaufen.
- Wie trainierst du heute?
- Rüdiger: Pro Jahr fahre ich 3000 bis 3400 Kilometer, bin im Winter zwei Mal pro Woche auf dem Wasser und im Sommer drei oder vier Mal, immer zwischen anderthalb und zwei Stunden.
- Treibst du anderen Sport?
- Rüdiger: Das sollte man besonders im Alter, weil sonst die Kraft fehlt. Im Winter mache ich pro Woche einmal Krafttraining, aber im Sommer gehe ich nur gelegentlich ins Fitnessstudio. Gegen jüngere Kanuten brauch ich auf der Kurzstrecke jedenfalls nicht antreten, die sind mir von der Kraft her überlegen. Für die Langstrecke hat man dafür im Alter die Erfahrung: Es bringt nichts, die ersten Kilometer zu bolzen. Ich teile mir die Rennen ein und fahre fast die ganze Zeit über mit konstanter Geschwindigkeit.
250 Stunden für ein Boot
- Und das in selbstgebauten Booten, obwohl es ja nun wirklich bei kommerziellen Angeboten an Auswahl nicht mangelt.
- Rüdiger: Richtig, aber wenn man sich ein Boot kauft, ist man doch nie so richtig zufrieden damit. Als ich mit dem Paddeln wieder anfing, habe ich viele Bootstypen ausprobiert, aber mal passt die Sitzposition nicht, mal der Rumpf, das Fahrverhalten oder was immer.
- Du bist schließlich selbst unter die Bootsbauer gegangen.
- Rüdiger: Ich hatte erst an einem Bootsbau-Workshop teilgenommen, die Rümpfe wurden dort aus Sperrholz gefertigt. Aber das Boot war nicht so, wie ich es haben wollte. 2009 kam Armin Kuhn mit dem Programm Kayak Foundry und wir haben begonnen, selbst Boote zu entwerfen. Die funktionierten dann.
- Wie läuft so eine Bootsentwicklung ab?
- Rüdiger: Man muss wissen, welches Boot man haben will. Für den Hiddensee-Marathon brauche ich zum Beispiel ein Boot mit gutem Wellenverhalten, es darf oben nicht rumplatschen und unten nicht abtauchen. In das Programm gebe die gewünschte Länge und Breite ein, das Gewicht des Paddlers, eventuell die des Gepäcks. Dann schlägt das Programm eine Rumpfform vor und man kann weiterarbeiten.
- Mit welcher Technik baust du deine Boote?
- Rüdiger: Ich arbeite in der Leistenbauweise. Das Material lasse ich mir von Sommerfeld und Thiele in Hamburg kommen. Inzwischen verwende ich aber meistens Platten aus Paulowina, die haben nur das halbe Gewicht im Vergleich zu Zeder.
- Wie lange dauert es, ein Kajak zu bauen?
- Rüdiger: Etwa 250 Stunden, wenn man es nicht allzu genau nimmt. Es soll schon gut aussehen, aber am Ende ist es für mich ein Sportgerät und kein Möbelstück fürs Wohnzimmer. Inzwischen habe ich zehn Boote gebaut.
Patrouillenboote vor Gedser
- Ein ganz anderes Thema. Du wolltest auch schon mal die Ostsee überqueren – in einem Faltboot.
- Rüdiger: Das war 1974, meine Frau und ich hatten beschlossen, die DDR zu verlassen. Und da hat man auf die Möglichkeiten geschaut, die man hat. Bei mir war das eben paddeln. Unsere Vorbereitungen waren eigentlich optimal. Wir sind in Kühlungsborn gestartet und wollten nach Gedser. Was wir nicht wussten, dass die Patrouillenboote sogar vor den dänischen Hoheitsgewässern lagen. Als wir die erreichten, ging gerade die Sonne auf und die Grenzer fischten uns auf. Wir wurden zu 22 Monaten verurteilt und vom Westen nach elf Monaten freigekauft.