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Niedrigwasser: Unklare Aussichten

Im Oktober 2015: Der Elbepegel liegt in Dessau bei 75 Zentimeter. – Foto: Thomas Steinberg

Seit dem Hochwasser 2013 führt die Elbe häufig Niedrigwasser. Eine Folge des Klimawandels? So einfach ist das nicht. Und: es war schon schlimmer.

Das bisschen Regen der vergangen Tage wird die Tendenz nicht aufhalten: Es wird weiter bergab gehen mit den Pegelständen der Flüsse, sagt die Bundesanstalt für Gewässerkunde in ihrer jüngste Prognose. Und die gilt auch für die Elbe.

Immer weniger Wasser im Fluss, das scheint ein Trend zu sein, seit sich im Sommer 2013 das Hochwasser verebbt ist. 2015 war es besonders arg, der Pegel in Dessau sank bis auf 54 Zentimeter. Da klingen die 75 Zentimeter vom gestern früh geradezu üppig.

Doch die aktuellen Niedrigwasserstände und die der vergangenen Jahre sind nichts im Vergleich zu denen Anfang des vorigen Jahrhunderts.

Heißer Sommer

Sommer 1911. Der war so heißt, dass im Otto Reutter ihm ein Couplet widmete. „Durch die Hitze, sollt man‘s glauben, gab es gleich gebrat‘ne Tauben. … Butter wurde Suppenfutter, Käse wurde Mayonnaise, Würste flossen, hingegossen. Selbst die Sülze sprach: „Ich schmilze!“ … Den Nordpol, den wird niemand mehr ergründen. Der ist geschmolzen, – keiner kann ihn finden“, dichtete der Sänger.

In Dresden trocknete die Elbe zu einem Rinnsal ein: Gerade einmal 50 Kubikmeter pro Sekunde statt der im Mittel üblichen 330 betrug dort der Durchfluss – 2015 sank der Wert auf lediglich 86. Und 1911 stand nicht allein, 1904 herrschte eine ähnliche Dürre. Also doch kein Klimawandel?

Andere Flüsse

Es ist, wie so oft, komplizierter. Schon aus einem ganz einfachen Grund: „Die Flüsse“, sagt Corinna Baumgarten vom Umweltbundesamt, „sind andere als vor 100 oder 200 Jahren.“ Zunächst denkt man and ie Schiffbarmachung der Flüsse. Doch ob sich diese Maßnahmen auf Niedrigwasser auswirken, scheint nicht erforscht.

Sehr viel deutlicher ist der Effekt eines anderen, häufig massiven, menschlichen Eingriffs in Flusssysteme, auf den Baumgarten, Diplom-Ingenieurin Technischer Umweltschutz, hinweist: Talsperren.

312 hat die deutsche-tschechische „Internationale Kommission zum Schutz der Elbe“ (IKSE) im Einzugsbereich ihres Flusses gezählt, ein Rekordwert. Und denen kommt entscheidende Bedeutung zu – sie sollen nämlich nicht nur Hochwasser abmildern, Strom liefern, der Erholung dienen und Trinkwasser liefern, sondern ebenso Niedrigwasser abschwächen. Der Elbepegel bis zur Saalemündung habe dank Zuschusswasser aus tschechischen Talsperren 20 bis 40 Zentimeter höher gelegen als ohne, heißt es in einem umfangreichen Forschungsbericht der IKSE zum Niedrigwasser 2015. Das wird zwar als extrem eingestuft, aber, so der Bericht weiter, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe es „noch extremere“ Situationen gegeben.

Kein eindeutiger Trend

Also doch alles im Lot mit der Elbe? Eine aktuelle Studie „Auswirkungen des Klimawandels auf die Wasserwirtschaft“ der „Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser“ könnte die Vermutung bestätigen. Baumgarten fasst ein Ergebnis so zusammen: Für die nächsten Jahrzehnte ergebe sich kein eindeutiger Trend bei den Elbe-Niedrigwassern, erst zum Ende des Jahrhunderts gebe es einen zu häufigeren und längeren Niedrigwasserständen.

Dies als Beleg gegen den Klimawandel zu nehmen, davor warnt ein Fachmann, der anonym bleiben will (ein häufig geäußerter Wunsch bei der Recherche im Zuständigkeitsgestrüpp der Behörden, wenn es um das Thema Wasser geht). Es gebe, so der Fachmann, schlicht und einfach sehr viele Faktoren, von denen Wasserführung der Flüsse beeinflusst wird, etwa die Versiegelung von Flächen.

Talsperren als Puffer

Wie komplex das Thema ist, lassen die Ergebnisse eines Studie zum Auswirkungen des Klimawandels auf die Schifffahrt erahnen (KLIWAS): Deren Autoren sehen einen bereits heute angespannten Wasserhaushalt im Bereich der Elbe – worauf mit dem Bau von Talsperren reagiert wurde. „Die Einflüsse der Talsperrensteuerung sowie der Wasserbewirtschaftung im Braunkohletagebau auf die Abflussmengen … erschweren die Analyse klimabedingter Veränderungen.“

Immerhin: Für die nächsten Tage scheinen die Aussichten eindeutig. Es ist zu wenig Wasser in der Mittelelbe, als dass Schiffe auf ihr fahren könnten.

Autor: Thomas Steinberg