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Schiffe auf Grundwasser

„Die Elbe. Über den Wandel eines Flusses vom Wiener Kongress (1815) bis zur Gegenwart“

Die Zuflüsse der Elbe werden künftig noch häufiger austrocknen, der Pegel des Flusses so stark sinken, wie man es noch nicht erlebt hat. Die Aussage klingt, als sei sie dieser Tage geschrieben worden, da die Elbe extrem wenig Wasser führt. Tatsächlich wurde sie vor mehr als anderthalb Jahrhunderten notiert, als Ergebnis einer Elbbefahrung von Wasserbauexperten im Jahre 1842.

Dass manche Diskussion entlang der Elbufer älter ist als gedacht, diese Erkenntnis beschert unter anderem der eben erschienene Sammelband „Die Elbe. Über den Wandel eines Flusses vom Wiener Kongress (1815) bis zur Gegenwart“. 31 Autorinnen und Autoren – Historiker zumeist, aber ebenso Biologen Ethnologen oder Theologen – beschäftigen sich auf über 600 Seiten teils kontrovers mit der Elbe, wobei die Schifffahrt den thematischen Schwerpunkt bildet.

Bis in das 19. Jahrhundert hinein spielte die kaum eine Rolle. Während andere große Ströme und deren Nutzung Thema beim Wiener Kongress waren und somit ein Aspekt der Neuordnung Europas nach dem Napoleonischen Zeitalter, blieb die Elbe ausklammert: Zu kompliziert erschien es, zwischen den zehn Anrainerstaaten Einvernehmen herzustellen. Es war dann vor allem Anhalt-Köthen, das sich – auf Einfuhren angewiesen – für einen bürokratiearmen Warentransport auf der Elbe stark machte. 1821 wurde dann die „Elbe-Schifffahrts-Acte“ verabschiedet, der etliche weitere Verträge folgen sollten.

Ein Fluss für die Schiffe oder Schiffe für den Fluss?

Die ersten Erleichterungen machten sich schnell bemerkbar. Die Zahl der Apollensdorf stromab passiernden Schiffe stieg zwischen 1825 und 1827 von 700 auf 1400. Doch steigendes Frachtvolumen und vor allem die aufkommende Dampfschifffahrt stellten neue Anforderungen vor allem an den Ausbau des Flusses.

Dabei herrschte schon Mitte des 19. Jahrhunderts Uneinigkeit über das Vorgehen: Preußen zum Beispiel forderte, den Fluss an die Schiffe anzupassen, Hannover wollte es umgekehrt halten. Letztlich setzen sich die Befürworter der starken Flussregulierung durch: Mäander wurden durchstochen, Ufer befestigt, Buhnen gebaut. Doch schon 1879 warnte ein Denkschrift, ob ein weitere Ausbau „überhaupt der Natur des Stromes angemuthet werden dürfte“.

Allzeitrekord im Jahre 1913

Dessen große Zeit als Transportweg hatte dabei erst begonnen. Mit der Industrialisierung stieg der Transportbedarf rasant, gerade für Rohstoffe wie Braunkohle. Die Eisenbahn, zwar besser vernetzt, konnte allein die Mengen nicht bewältigen, an die Konkurrenz des Lkw war noch nicht zu denken. Da die wichtigen Industrie- und Braunkohlereviere im Osten Deutschlands lagen, fanden ende des 19. Jahrhunderts 50 Prozent aller Transporte mit dem Binnenschiff auf der Elbe statt. 1913 wurden 13 Millionen Tonnen auf der Elbe verschifft – ein Allzeit-Rekord.

Obwohl aus Völkergewohnheitsrecht und nach dem Versailler Vertrag die Elbe ein internationaler Fluss war – nach der deutschen Teilung verlagerten sich die Transportströme auf dem Fluss. Die DDR lenkte sie Richtung Rostocker Hafen um, die Bundesrepublik war von der Mittelelbe weitgehend abgeschnitten und dort, wo die Elbe Grenzfluss war, eroberte sich die Natur teilweise verloren gegangenes Terrain zurück.

Wasser aus den Tagebauen

Trotzdem blieb die Elbe eine wichtige Transportader in der DDR. Vor allem Braunkohle wurde auf ihr verschifft. Für den notwendigen Teife der Fahrrinne sorgte der Braunkohleabbau selbst – das Grundwasser aus den Tagebauen wurde in die Flüsse gepumpt. Gleichzeitig verkam der Fluss zur Kloake für Abwässer. Fischarten verschwanden und 1954 wurde das letzte Flussbad geschlossen.

Mit der Wiedervereinigungen setzten zwei einander entgegen gerichtete Prozesse ein. Mit Blick auf den Umweltschutz unterzeichnete das neue Deutschland als ersten internationalen Vertrag einen zur Elbe. Und alsbald wurden Stimmen laut, die für Milliardensummen einen Ausbau der Elbe mit Staustufen forderten und prognostizierten Transportmengen von 50 Millionen Tonnen.

Uneinigkeit und Verständnis

Die folgenden zwei Jahrzehnte waren or allem von gegenseitiger Ignoranz bis zu offenen Anfeindungen zwischen Ausbaubefürwortern und Naturschützern gekennzeichnet, während die Transportmengen stetig abnahmen. Ob daran eine durch Klimawandel bedingte Häufung von Niedrigwasser schuld trägt oder das nach dem Hochwasser 2002 von der Bundesregierung verabschiedete Ausbaumoratorium – darin sind die Autoren des Bandes uneins. Doch auch dort, wo gegensätzliche Positionen vertreten werden, ist erkennbar, dass zumindest das Verständnis füreinander gewachsen ist, nicht zuletzt dank der Vermittlungsbemühungen der Evangelischen Landeskirche. Ob ohne deren Vorarbeit ein Gesamtkonzept Elbe je hätte verabschiedet werden können, darf zumindest gefragt werden.

Die im Buch „Die Elbe“ versammelten Aufsätze behandeln einige Fragen – etwa zu Hydrologie, Ökologie, Hochwasserschutz oder – heute wichtig – Tourismus nur am Rande. Das tut der Qualität des von Andreas Martin und Norbert Fischer herausgegebenen Bandes keinen Abbruch. Denn der bietet einen hervorragenden und vielstimmigen Einstieg in die Nutzung des Flusses während der vergangenen 200 Jahre.

Andres Martin, Norbert Fischer (Hg.): „Die Elbe. Über den Wandel eines Flusses vom Wiener Kongress (1815) bis zur Gegenwart“. Leipziger Universitätsbuchhandlung. 678 Seiten, ISBN 978-3-96023-205-6, 34.90 €